Presseeklärung vom 25.05.2021
Heute am 25. Mai ist der „Internationale Tag der vermissten Kinder“ (Missing Children’s Day). Ziel des Tages ist es, an vermisste Kinder zu erinnern und diejenigen, die ein Kind vermissen, zu unterstützen und ihnen Hoffnung zu geben.
Das Symbol des Tages ist die Blüte des Vergissmeinnicht.
Der Verein SOS Kindesentführung e.V. gedenkt an dem Tag insbesondere auch den Kindern, die von einem Elternteil aus ihrem Umfeld gerissen und entführt wurden.
Darunter ist der 4-jährige Arian aus Berlin. Er wurde im Februar 2020 von seinem Vater entführt. Bis heute fehlt jegliches Lebenszeichen von ihm. Die mittlerweile zehn-jährige Ella aus Dresden ist seit 2017 spurlos verschwunden. Sie und ihre Mutter konnten bis heute nicht ausfindig gemacht werden. Der 4-jährige Dean aus Kamp-Lintfort wurde 2019 nach Nordamerika entführt. Die 10-jährige Milena aus Berlin wird seit 2016 vermisst, sie wurde in den Libanon entführt. Es gibt noch weitaus mehr vermisste Kinder, die hier nicht alle genannt werden können.
Diese Fälle finden in der Öffentlichkeit kaum Gehör.
Genaue Statistiken über Entführungen durch Elternteile gibt es nicht. Landesinterne Entführungen werden oft nicht als solche registriert. Bei internationalen Entführungen durch einen Elternteil werden nur Rückführungsverfahren unter Beteiligung des Bonner Bundesamtes für Justiz erfasst. Eines zeigen die Statistiken und Erfahrungen jedoch deutlich: Väter und Mütter sind gleichermaßen Täter.
Vor genau fünf Jahren wurde der Verein SOS Kindesentführung e.V. von Müttern und Vätern gegründet, deren Kinder vom anderen Elternteil entführt wurden – zumeist ins Ausland. Die Schicksale hinter diesen Straftaten, die oft Traumata bei den Kindern und dem hinterbliebenen Elternteil hinterlassen, sind tragisch. Juristisch wird beschönigend von „Kindesentzug“ gesprochen.
Gerichte, Behörden und zuständige Stellen messen der Entführung im Familienkontext den Erfahrungen des Vereins nach kaum eine Bedeutung bei. Die Entführenden werden z.t. nicht einmal zur Fahndung bspw. bei Interpol ausgeschrieben. Entführte Kinder bleiben oft ein Aktenzeichen, welches zwischen Behörden über Jahre hin- und hergeschoben wird.
Die Hinterbliebenen stehen nicht selten vor dem emotionalen und finanziellen Zusammenbruch. Zunehmend wenden sie sich nach vergeblicher Hilfesuche bei den Behörden verzweifelt an den Verein SOS Kindesentführung e.V. Der Verein, der vor kurzem von Berlin nach Hamm gezogen ist, steht Betroffenen über eine Hotline mit Rat und emotionaler Unterstützung zur Seite. Die ehrenamtlichen Mitglieder leiten erste Schritte mit den zuständigen nationalen oder internationalen Stellen ein und vernetzen den Elternteil mit anderen Betroffenen. Sie unterstützen zudem bei Anträgen beim Familiengericht oder Jugendamt und begleiten als Beistände (Anwälte Minderjähriger) Anhörungen. Dabei folgen die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer dem Grundsatz, dass Kinder ein Recht auf beide Elternteile haben. Entsprechend versuchen sie zu vermitteln und wo möglich zu deeskalieren.
Inzwischen verfügt der Verein über eigene Netzwerke und viel Wissen, v.a. im Falle internationaler Entführungen. Thomas Karzelek, der Gründer und Vorsitzende des Vereins:
„Als wir am 25.05.2016 den Verein gegründet haben, war ich selbst von einer Kindesentführung betroffen. Meine Tochter Lara, damals 5 Jahre alt, wurde von ihrer Mutter und Großmutter nach Polen entführt. Ich war total verzweifelt. Niemand konnte mir helfen, obwohl Polen das völkerrechtlich bindende Haager-Kindesentführungsübereinkommen, dem weltweit 100 Vertragsstaaten angehören, unterzeichnet hat. Der Fall wurde bagatellisiert. Alle Eltern, die eine Entführung erlebt haben, wissen jedoch, von welchem Alptraum ich spreche. Ich ging schließlich an die Medien.
Durch die mediale Präsenz meldeten sich immer mehr Betroffene und erzählten von ähnlichen Erfahrungen. Schnell wurde mir das Ausmaß klar. Gerade auch bei binationalen Partnerschaften. Da sich die Elternteile alle ähnlich wie ich im Stich gelassen sahen, gründeten wir den Verein
SOS Kindesentführung e.V. Inzwischen konnten wir 32 Kindern dabei helfen, nach Hause zurück zu kehren. Das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Daher brauchen entführte Kinder eine echte Stimme und viel mehr Unterstützung von staatlichen Stellen.“
Heute zählt der Verein über 50 Mitglieder. Einige von ihnen haben Weiterbildungen als Verfahrensbeistand durchlaufen. Seit 2017 konnten mit Hilfe des Vereins entführte Kinder aus Polen, Indien, Russland und Türkei nach Deutschland zurückfinden. Hinzu kommen immer mehr Fälle von Kindesentführungen innnerhalb Deutschlands. Es wenden sich auch Eltern aus dem Ausland an uns, die ihre entführten Kinder in Deutschland suchen. Aktuell betreut der Verein etwa 50 Elternteile im Rahmen einer Kindesentführung.
Die Erfahrungen im Verein zeigen, dass die Verharmlosung von Kindesentführungen, etwa durch den Begriff „Kindesentziehung“, beendet werden muss. Auch eine Kindesentziehung bspw. bei Vorliegen des alleinigen Sorgerechts des Entführers ist eine Straftat nach deutschem Strafrecht. Obwohl im Strafgesetzbuch verankert, wird bei einer gestellten Strafanzeige wegen der Entziehung Minderjähriger jedoch vielfach weder rasch noch wirkungsvoll gehandelt.
In vielen Fällen erleben wir, dass sich Entführende gerade durch die Begehung von Straftaten und Kindeswohlgefährdungen einen Vorteil vor Gerichten verschaffen. Hierzu zählt der Missbrauch des sogenannten „Kontinuitätsprinzips“. Es besagt, dass Kinder nach einer Trennung dort leben sollten, wo sie schon länger ansässig sind. Im Falle einer Entführung wird dieses Dogma wiederholt zu Gunsten des Entführenden ausgelegt. Ausgehend von unseren konkreten Erfahrungen sehen wir die Erfordernis eines dringenden politischen und gesellschaftlichen Umdenkens. Kindesentführungen sind keine Einzelfälle, sondern nehmen im Zuge der Globalisierung zu. Sie sind schwere Straftaten und müssen zeitnah und mit allen Mitteln des Rechtsstaates geahndet werden. Wir fordern einen deutlich verbesserten Schutz vor Entführungen für unsere Kinder, Unterstützung für zurückgelassene Elternteile und Maßnahmen zur Aufklärung sowie Verhinderung von Entführungen, bevor sie stattfinden. Hier bedarf es u.a. einer Änderung bei der Ausbildung von Richterinnen und Richtern, Mitarbeitenden der Jugendämter, der Praxis in den Familiengerichten und bei der Weiterbildung zum Verfahrensbeistand. Die heutige juristische Praxis und das mangelnde öffentliche Interesse an Entführungen durch Elternteile stellen grundlegende Probleme dar.
Hierzu haben wir unter anderem zusammen mit dem Verein „Papa Mama Auch“ die Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2019/1111 (= Brüssel-IIb-Verordnung) abgegeben.
Link zur Stellungnahme vom 16.02.2021.
Unsere Botschaft lautet: Eine Entführung schädigt das Kindeswohl. Sie muss juristische Konsequenzen haben und darf keine Vorteile verschaffen. Das Kindeswohl muss durch sofortige Rückführung gewahrt werden. Der Rechtstaat muss das Grundrecht der Kinder auf beide Elternteile schützen.
Dafür setzen wir uns ein. Für unsere Kinder.
Der Vorstand
SOS KINDESENTFÜHRUNG e.V.
Tel.: +49 (0) 30 120 885 24